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Wie jeden Montagmorgen, wenn in der Amazoonicoküche die Sitzung stattfindet, erleben wir Jaime in Hochform. Er ist (ich hab’s schon ein paar Mal geschrieben) Waldhüter von Selva Viva, zudem Vater von Sacha und bei den Padres de familia (Elternrat) Sekretär. Er hat auch sonst noch Ämter inne, irgendetwas Politisches. Jaime spricht gerne und viel, wie sich das für einen Politiker gehört, und nicht immer ist alles hundertprozentig wahr oder zumindest übertrieben, wie sich ja ebenfalls für einen Politiker gehört. Auf jeden Fall hat er immer eine beachtliche Liste von Tieren, die er im Wald gesehen haben will, während Ruben, der andere Waldhüter und meines Erachtens der kompetentere, seinen Wochenbericht meistens in kurzer Zeit vorgetragen hat. Wie dem auch sei…
An einer Montagsitzung vor vier Wochen haben wir Jaime gefragt, ob die Minga, die wir mit seiner Frau am Elterngespräch abgemacht hätten, nun stattfinde. Ja, er komme dann sowieso noch zur Schule hoch, dann könne er die Kinder gleich informieren, meinte er. Erschienen ist er allerdings nicht und so nahmen wir an, dass er die Minga schriftlich organisieren würde.
Eine Minga ist ein Anlass, wo alle Eltern der Schüler verpflichtet sind, gemeinsam zum Wohl der Schule etwas beizutragen. In unserem Fall ist dies zum Beispiel mit den Macheten das kniehohe Gras rund um die Gebäude mähen, die Treppen von Unrat befreien, das kaputte Kochhäuschen wegräumen, usw.
Als dann am Freitag niemand von den Padres de la familia auftauchte, war uns klar, dass die Minga nicht statt finden würde. Jaime meinte lakonisch, es habe ihm persönlich zeitlich nicht gepasst.
Eine Woche drauf sah ich ihn morgens aus dem Kindergarten spazieren, also eher schleichen, was ihn ein bisschen verdächtig machte. Als ich bei Gloria nachfragte, was denn Jaime gewollt habe, zeigte sie mir die Vorlage, die er ihr in die Hand gedrückt hatte: Eine Einladung zur Minga, formell aufgesetzt, mit der Anweisung, Gloria solle ihm diese 15x von Hand kopieren.
Ja, wo geht denn so etwas? Jaime ist der Sekretär und nicht Gloria, auch wenn er ein älterer Mann und sie eine jüngere Frau ist . Ich bat Gloria, die Kopien nicht zu machen und schrieb Jaime einen freundlichen, aber bestimmten Brief: Gloria sei an unserer Schule Lehrerin und in dieser Position nicht verantwortlich (und habe zudem auch nicht die Zeit) für das Kopieren von Einladungen. Wir hofften auf sein Verständnis. Mit freundlichem Gruss, Directora blabla (weil es gut klingt und dem Ganzen einen offiziellen Touch gibt).
Die Minga fand statt. Jaime hat es irgendwie organisiert, ich glaube aber nicht, dass er die Einladungen selbst geschrieben hatte. Lucilla, seine Frau, warf uns giftige Blicke zu, sehrwahrscheinlich musste sie die Sekretärin des Sekretärs spielen, obwohl sie eigentlich Präsidentin vom Elternrat ist. Kichwapolitik…
Jaime hat während der ganzen Minga die Machete nie geschwungen, machte aber immer wieder mit dem Chichabecher die Runde, was ja auch eine wichtige Aufgabe ist. Dafür arbeitete Marisol mit, als habe sie nicht erst vor zwei Wochen ein Mädchen entbunden.
Spontan an diese Minga ergab sich eine Elternratsitzung – eine Reunión. Ich wurde geholt und sass dann im Kreis wie die andern, entweder kauernd, im Schneidersitz oder auf Brettern sitzend. Zuerst wurden auf Kichwa die Schulschulden jeder Familie aufgesagt, dann kamen wir zum „Traktandum“ Abschlussfest. (Dieses Traktandum löste dann bei uns im Lehrerhaus den ersten handfesten Streit seit letzten August aus, aber solch hässliche Szenen brauche ich euch ja nicht in einem mehr oder weniger öffentlichen Blog zu schildern, oder?) Für die Eltern war klar, dass das Fest am Freitag vor den grossen Ferien statt finden sollte, dass jede Familie ein Huhn und Chicha mitnehmen sollte und auch sonst noch Esswaren, so dass es für die eigene Familie sicher reichen würde. Dann wurden die Musikanlage, der Generator und die Gasolina für den Generator organisiert. Zum Glück wurden Wörter wie Gasolina auf Spanisch ausgesprochen, sonst hätte ich von dem immer wieder durch Kichern und herzhaftem Lachen unterbrochenen Kichwa nichts verstanden.
Das Wichtigste kam am Schluss: Die Padres de familia haben beschlossen, am folgenden Montag ein Komitee in die Bilingüe in Tena zu schicken und endlich den vom Präsidenten der Bilingüe persönlich versprochenen Lohn für Gloria einzufordern. Sie baten mich, das Komitee zu begleiten und die Schule zu schliessen, ihre älteren Kinder müssten schliesslich zu Hause auf die Kleinen aufpassen, wenn sie in alle Tena seien. Wir Lehrer hiessen den Plan von Herzen willkommen! Auch wir wollten endlich, dass Gloria ihren wohlverdienten Lohn erhielt. (Wir wollen es immer noch!)
PS: Es tut mir Leid, dass ich dem Durchschnittsleser einen solch langen, verwirrenden Text zumute, ohne ihn wenigstens mit bunten Bildern zu spicken.
Haus der Familie gehen, die auch die Kinder unterrichten, also Klassenlehrer und Gloria, unsere Spanisch- und Kichwalehrerin. Weil ich mich rühmen kann, das am wenigsten schlechte Spanisch im Lehrerhaus zu sprechen, ging auch ich zwecks Übersetzungen immer mit. Wir merkten aber bald, dass viele Familien uns gerne alle in ihrem Haus gesehen hätten. Vor allem wenn Heiko, der Mann, fehlte, wurde stets nach ihm gefragt.
Dort empfingen uns immer kläffende und beinmagere Köter, die Mitleid erregten. Nicht selten waren die Hunde auch verletzt, schliesslich wird nicht gerade zimperlich mit ihnen umgegangen. Wir zogen unsere kniehohen Stiefel vor der Treppe ab und stiegen die Stufen hoch in einen Vorraum, wo wir dann auch das Gespräch hielten.
Nicht zuletzt gab ihnen die Zukunft der Kinder zu denken: Wie lange dürfen sie noch ins SYH? Was sind ihre Möglichkeiten nachher? Wie könnte man verhindern, dass die Kinder nach der Schule ihr Deutsch verlernen? Anita, die ältere Schwester von Maria und Nonne in Guayaquil, machte den Vorschlag, die Kinder während der grossen Ferien oder nach Abschluss der Schule in einer grossen Stadt in einer deutschsprachigen Familie arbeiten zu lassen (wie unser Welschlandjahr). Ruben, der Vater von Abdón, fragte nach, ob sein Sohn allenfalls ein 10. Jahr im SYH machen dürfe. So könnte er das ecuadorianische Colegio fertig machen und weiterhin sein doch schon sehr gutes Deutsch pflegen. Es freut uns, dass die Familien so mitdenken und wir wollen schauen, ob sich da was machen lässt.
Wenn uns ein volles Menu angeboten wurde, liessen uns die Gastgeber während dem Essen alleine und zogen sich in die Küche zurück. Ziemlich gewöhnungsbedürftig. Und wir lernten, dass es unhöflich ist, einen Gast zu fragen, ob er etwas essen oder trinken möchte. Es wird davon ausgegangen, dass der Besuch immer hungrig und durstig ist. Von Seiten des Gastes ist es unhöflich, nach Erfrischung zu verlangen und mehr (oder etwas anderes) zu verlangen, als angeboten wird.
In keinem der Häuser fand sich ein Klo. Die Kichwas erledigen ihr Geschäft offensichtlich draussen oder im nahe gelegenen Fluss. Dafür fanden wir überall die Weihnachtsgeschenke, die wir den Familien im Dezember mit nach Hause gegeben haben. Viele der Blockflöten waren kaputt und lagen mit den Tupperware-Gefässen irgendwo am Boden. Einzig zum Klassenfoto schienen die Familien mehr Sorge zu tragen. Die hingen bei fast allen prominent im Eingangsraum zusammen mit anderen Bildern. (Die Fotos halten am längsten, wenn sie laminiert sind.)
wenn die Frau mit den Erfrischungen fertig gewesen wäre, zu uns gesetzt. Unsere Sitzordnung sei den Kichwas seltsam vorgekommen, aber sie hätten sich ebenfalls den Gewohnheiten der anderen anpassen wollen…
In fast allen Häusern fühlten wir uns willkommen und spürten eine angenehme, freundliche Atmosphäre. Einzig in drei Häusern war uns nicht wohl, die Gespräche dauerten dann auch nicht lange und liessen bei uns ein unbefriedigendes Gefühl zurück.
Der Besuch bei der Familie von Luiz, Alirio und Danilo ist bemerkenswert. Bei ersten Treffen waren die Eltern nicht zu Hause, ohne Nachricht zu hinterlassen. Die Jungs zeigten sich enttäuscht, dass wir nicht bei ihnen bleiben und auf die Rückkehr der Eltern warten wollten. Beim zweiten Anlauf klappte alles. Wir konnten unsere Zettel vorlesen. Und da die drei Jungs Wirbelwinde sind und wir sie nicht nur rühmen konnten, wurde unser Monolog immer wieder von Herlinda, der Mutter unterbrochen, weil sie den betreffenden Sohn auf Kichwa die Leviten las. Sehr amüsant zu beobachten. Wir brachten das Gespräch aber zu einem versöhnlichen Abschluss und versicherten den Eltern, dass sie stolz auf ihren Nachwuchs sein können. Das anschliessende typische Kichwaessen war ein Hit! Von den 7 angebotenen Speisen kannte ich nur die Yuca und den Tilapiafisch. Alles schmeckte gut (bis auf etwas Undefinierbares, das sich später als Weisser Kakao herausstellte).