Meine lieben Freunde und Verwandten
Wie geht es euch allen? Hat der Herbst schon Einzug gehalten in der Schweiz? Sind die Blätter der Bäume schon verfärbt?
Bei uns ist fast alles wie gehabt, mit leichten Verbesserungen und spannenden Ereignissen.
Ja, ich weiss gar nicht, wo ich beginnen soll. Am besten querfeldein…
Neue Kleider I
Vor 14 Tagen kauften wir für Anja neue Kleider. Vor allem Hosen waren wichtig, da diese nach einem Morgen Kindergarten meist so dreckig sind, dass man (also ich) waschen muss. Das Lädele in Tena stellte sich als sehr unterhaltsam und spannend heraus und wir fanden tatsächlich eine sehr schöne türkisfarbene Kombination.
Übertriebene Tierliebe
Heiko und Jana hatten eine Ratte gefangen, während wir drei in Tena waren, und den Nager den Volontären gegeben, damit diese ihn den Tigrilis/ Ozeloten füttern. Die Volontäre, diese Tierfanatiker, fanden die Ratte so herzig und hatten so Mitleid, dass sie sie freiliessen. Was sagt man dazu? Wir haben auf jeden Fall wieder eine Ratte, vielleicht ist’s ja eine Altbekannte…
Königin der Blattschneiderameisen
Unsere Indianerkinder kamen während einer Pause mit riesigen Ameisen angerannt. Ihr Leib und ihr Kopf waren etwa so gross wie Maiskörner. Das seien Uguis – Königinnen der Blattschneiderameisen. Nur eine hat die Pause überlebt, alle anderen wurden vorher gegessen. Diese eine fand ich später in Silvias Pult, sie wollte eine Ameisenzucht damit starten. Ich sagte, ich wolle kein Zucht im Schulzimmer, worauf auch diese Ugui ein jähes Ende fand.
Neue Kleider II
Ein Päckli mit einem schönen, weissen (!) T-Shirt für Anja! Herzlichen Dank, Grosi, Anja hat sich sichtlich gefreut! Leider bleibt weiss unter diesen erschwerten Umständen (1. Kindergartenkind; 2. Dschungelleben; 3. Handwäsche) nicht lange wirklich weiss. Aber der Scherenschnitt sieht sicher auch auf geflecktem Stoff heimatlich aus…
Hallenbad
Wir hatten in der Schule einen kleinen Frosch im Spülkasten. Er hatte diese kleinen Saunäpfe an den Zehen, genauso, wie ich mir einen Regenwaldfrosch vorstelle. Wie der dort reingekommen ist, war uns ein Rätsel. Vielleicht aber durch die Leitungen, ins Wasserreservoir käme er auf jeden Fall problemlos, obwohl es inzwischen wenigstens überdacht ist. Wir haben ihn dann mit Mühe und Not aus seinem Hallenbad befreit.
Paparazzi
Die Jagd nach einem guten Bild von einem leuchtendblauen Morphofalter ist schon lange eröffnet und wird nicht so bald zu Ende sein. Nach 10 Minuten sportlichem Fotoschiessen, aus dem nur Fotos mit grünen Blättern ohne Schmetterling resultierten, gelang mir wenigstens dieses Abbild von den zugegebenermassen etwas weniger faszinierenden Aussenseiten der Flügel.
Reunión de los Padres - Elternversammlung
Wir hatten am Donnerstag eine Sitzung, einen Elternrat, oben in der Schule. Für uns ist dies immer eine sehr spezielle Situation, da wir die Kichwakultur und –sprache nicht kennen, aber eigentlich ja über die Schule diskutieren oder informieren sollten. Es mutet seltsam an, dass die Indianer uns nie fragen, wie’s denn ihren Sprösslingen geht. Sowieso sind die Kichwas sehr schweigsam. Ausser Jaime, der Waldhüter und einzige Politiker unter den Eltern, und ein etwas schwieriger Charakter. Er spricht dann jeweils so lange, dass die Sitzungen ewig dauern. Diese Sitzung ging natürlich insbesondere um die Fiesta, die am 28. September stattfindet. Wir erfuhren noch gerade rechtzeitig, dass wir die Schweizer und die Ecuadorianische Hymne mit den Kindern vortragen müssen, zu all den anderen Liedern, Tänzen, Kunststücken, die wir jetzt seit vier Wochen am Vorbereiten sind. Ich muss, obwohl eigentlich Patriotin, doch zugeben, dass ich von diesem neuen Auftrag nicht begeistert war. Ich finde die Schweizerische Hymne, insbesondere für fremdsprachige Kinder, ein sinnloses Lied. Erklär’ mal einem Kichwa, was „hehren" genau heisst und wann er dieses Wort in seinem Leben je brauchen wird…
Des Weiteren wurde beschlossen, dass Gloria, unsere Kichwalehrerin, mit Hilfe von Olga, der Amazoonico-Sekretärin, mit den grossen Schülern einen traditionellen Tanz einstudiert. Und dass man Fisch und Huhn machen wollte und wer die Tiere mitbringen sollte. Und dass die kleinen Schüler unbedingt eine Schuluniform brauchen, so eine, wie die Grossen haben. Dass man das Bier selber zahlen müsse. Dass die Kinder unbedingt eine Lehrausbildung bräuchten. Wer bringt das Geschirr mit? Wer mäht das Gras? Welche offiziellen Gäste sind eingeladen und kommt die Prefecta, wenn man sie einlädt? Ob man den Kindergarten noch streichen wolle bis zur Einweihungsfeier…
Für uns war nach der Sitzung wie immer nicht ganz klar, was eigentlich unsere Aufgabe ist, wo unsere Verantwortung liegt, wann die Fiesta beginnen würde, wann und wo unsere Auftritte stattfinden würden und es konnte es uns auch niemand sagen. Zudem hatte mich Jaime während der ganzen Sitzung blossstellen und herumkommandieren wollen und hatte mir sogar die Schuld an einem Missverständnis mit dem Maler gegeben. Ich habe mich kaum gewehrt, zu unsicher fühle ich mich in der indianischen Kultur noch.
Nach der Sitzung meldeten wir uns bei Angelika, damit sie uns die ganze Reunión noch einmal verständlich zusammenfassen konnte. Sie meinte dann auch, dass ich mich Jaime gegenüber bestimmter verhalten sollte, was ich am Abend an der Fiesta gleich umsetzte.
Fiesta Runa Huasi
Im Runa Huasi fand eine grosse Abschiedsfeier für zwei langjährige Volontärinnen statt. Es gab Huhn, Reis, Yuka, Suppe mit Hühnerkrallen, Alkohol, usw. Bettina war übrigens mutig genug, eine Kralle bis auf die Knochen abzunagen, es schmecke wie Gummi. Anja und Kayla spielten lange zusammen und schliefen dann später mitten unter den Tanzenden in den Hängematten ein. Getanzt wurde der typische Kichwatanz, wo man kaum sich kaum bewegt, niemals ohne Mann bzw. Frau tanzt, aber diesem/ dieser nicht in die Augen schaut. Jaime forderte mich zum Tanzen auf, - es ist immer Herrenwahl, übrigens eine unglaublich praktische Sitte-, und ich erwiderte mit einem klaren und so untypischen, weil zu direkten, Nein. Seitdem ist Jaime wieder umgänglicher, ich denke, ich war bestimmt genug.
Ungefähr nach 2 Stunden Schlaf ist Anja erwacht, es war ihr doch zu etwas zu laut. Der etwa 10minütige Rückmarsch alleine durch den dunklen Dschungel, mit Anja auf dem Rücken und nur mit Stirnlampe und Stiefeln ausgerüstet, war eindrücklich. In der Nacht schwirren Leuchtkäfer durch den Wald, so gross wie Haselnüsse. Und die Geräuschkulisse ist sagenhaft.
Am nächsten Tag gab es viele Gerüchte. Da die Kichwamänner sich ihrer Untreue rühmen und manche Volontärinnen unbedingt eine exotische Urlaubserinnerung brauchen, spielen sich oft, vor allem für die armen Ehefrauen, unliebsame Begebenheiten ab.
Vorbereitungen
Gleich am nächsten Morgen wollten wir die neuen Angaben umzusetzen. Ich versuchte krampfhaft, die Hymne auf dem Keyboard zu begleiten und versagte kläglich. Seit ich nicht mehr Schule gebe, habe ich wohl nie mehr Tasten angefasst. (Das Keyboard war bis vor kurzem kaputt, nun hat es Douwe geflickt. Eigentlich habe ihm nichts gefehlt, aber es hätten einfach zu viele Kakerlaken in der Elektronik gehaust…). Das Üben des Kichwatanzes musste auf den Montag verschoben werden, weil die beiden Kichwalehrerinnen kichwamässig zu spät kamen, kichwamässig nichts (zum Beispiel keine Musik) organisiert hatten und kichwamässig einfach darauf warteten, dass ich das Problem löste. Entweder bleibt man als Schweizerin in solchen Situationen kichwamässig gelassen und tranquilo oder man bekommt einen europäischen Nervenzusammenbruch.
Hoher Besuch
Am Montag, 24.9., traf Christine von Steiger, die Gründerin und Direktorin der Schule Sacha Yachana Huasi mit vier Oberstufenschülern aus der Schweiz ein. Wir warteten gespannt auf den Besuch! Christine wird für 14 Tage in ihrem bzw. unserem Haus wohnen, Heiko und Jana mussten für diese Zeitspanne ausziehen. Wir versprechen uns von diesem hohen Besuch mehr Klarheit (Was ist unsere Verantwortung? Was sind unsere Aufgaben?) und etwas mehr Informationen zum ganzen Projekt. Da Christine eine leidenschaftliche Rednerin ist, werden wir wohl bis in einer Woche eine ganze Menge mehr Hintergrundwissen erworben haben.