Friday, January 4, 2008

Isla Anaconda

Die längliche Insel, die zwischen dem Rio Napo und dem Rio Arajuno liegt, verdankt ihrem Namen einem Inselhotel, das lange Zeit eine etwa 4 Meter lange Anaconda beherbergte. Diese Anaconda gibt es heute nicht mehr und man ist sich nicht sicher, wie sie verschwand. Ist sie geflohen, wurde sie verkauft oder doch verspeist?

Die meisten unserer Schüler wohnen auf der Isla Anaconda. Da auf der Insel keine Affen leben und man sie praktisch schlangenfrei halten kann, eignet sie sich sehr gut für Plantagen. Die Familien der Schüler verkaufen denn auch Früchte, Yucca und Mais an den Amazoonico, wo das meiste an die Tiere verfüttert wird. Es ist jeweils ein schönes Bild, wenn eine Indianerfamilie mit gefülltem Einbaumkanu über den Arajuno kommt, ohne Motor, nur mit einem Stecken im Wasser stakend. „Hay frutas“ hört man dann von den Volontären, und die mühsame Schlepperei die lange Treppe hoch in die Tierbodega beginnt.

Da uns Patrick in der Altjahrswoche besuchen kam, bot sich mir endlich die Gelegenheit, eine Touristentour der Liana Lodge mitzumachen. Mit dem Guia Edwin, einem Kichwaindianer, der, wie sich herausstellte, etliche Cousins und Cousinen in der Schule hat, und drei deutschen Frauen setzten wir zur Insel über.

Als erstes machten wir beim Haus der Familie Canelos Grefa Halt. Aus dieser Familie haben wir vier Jungs in der Schule: Cristian, Adrian, Randy und Jerson. Das Haus ist nach traditioneller Art erhöht auf Pfählen gebaut und mit Palmblättern abgedeckt. Überschwemmungen von einem der Flüsse seien nicht selten, etwa alle zwei Jahre stünde die ganze Ernte unter Wasser. Ich war etwas ernüchtert von dem Haus, treffender gesagt Hütte, in der unsere Schüler zu Hause sind. Da ist wirklich nicht viel – immer verglichen mit der Schweiz natürlich. Obwohl rund ums Haus die Pflanzen gedeihen und der Vater einen guten Job in der Liana Lodge hat, scheint das Geld für nichts zu reichen – oder anders ausgegeben zu werden als von Europäern erwartet.

Die Familie war in einer Plantage am Arbeiten und Edwin zeigte uns rund um ihr Haus die verschiedensten Kulturpflanzen. Seit ich die Yuccawurzel vor einem halben Jahr kennen und schätzen gelernt habe, möchte ich wissen, wie die dazugehörige Pflanze aussieht. Eigentlich, jedenfalls von weitem, erinnert sie an eine Hanfpflanze. Es gebe verschiedene Sorten, die unterschiedlich lange Reifezeiten hätten, nicht alle seien essbar, usw. Wenn die Yucca nicht so abhängig vom tropischen Klima wäre, würde ich mir in der Schweiz ein Beet davon anlegen. Und zwischendurch jemanden zu einem leckeren, exotischen Yuccamahl einladen…

Vieles, was ich dann von Edwin lernte, habe ich mir in der Schweiz gar nicht oder falsch vorgestellt. Zum Beispiel, einmal muss es ja gebeichtet werden, war ich überzeugt, dass Anananas an Palmen wachsen. Vielleicht tun sie das auch irgendwo, sicher aber nicht in Ecuador. Die gedeihen einzeln am Boden, wie das Bild zeigt. Und Papayas wachsen auf Bäumen, immer mehrere mit unterschiedlichen Reifegraden zusammen. Die Trauben mit dem grossen Stein in der Mitte, die ein bisschen an Kirschen erinnern, wachsen hingegen auf hohen Bäumen. Der Orangenbaum sieht überhaupt nicht wie ein Orangenbaum aus und das Zitronengras, das Hierba Luisa, könnte ich nicht vom normalen Gras unterscheiden. Zum ersten Mal sah ich eine Zuckerrohrpflanze, gekostet haben wir sie ja schon ausgiebig in Baños.

Bei unserer Wanderung durch die Plantagen sahen wir vor allem viel Mais, Oritos- und Kochbananen, Yuccapflanzungen.
An einem Baum zeigte uns Edwin eine gelbe, fingerlange und sehr pelzige Raupe, die „Patschongo“ oder ähnlich genannt wird. Sie sei überaus giftig, etwa wie die Gonga. Der Guia wollte sich für die weiteren Ausführungen (in langsamem Spanisch) am Stamm abstützen und bemerkte gerade rechtzeitig, dass der Baum noch eine andere Touristenattraktion beherbergte. Eine weitere Raupenart, die sich durch Zusammenrotten vor Fressfeinden schützt. Wie ein einziges Lebewesen krochen die Räupchen alle in eine Richtung und sahen dabei aus wie eine pelzige Flunder. Die Härchen der Tiere seien auch giftig, deshalb werden sie von den Kichwas erst gegessen, wenn das offene Feuer die Haare versengt und das Fleisch geröstet hat.



Am Himmel zogen dunkle Wolken auf und erlaubten mir dieses wunderschöne Stimmungsfoto. Als es kurz darauf zu winden und dann einem Sturzbach ähnlich zu regnen begann, wussten wir wieder einmal, warum der Regenwald so heisst. Wir benutzen Bananenblätter als Schirme, was hier tatsächlich so gemacht wird, aber bei einem solchen Regenfall einfach nicht viel bringt.
Klatschnass erreichten wir das Haus der Familie Vargas Cerda, einer 11köpfige Sippschaft, wovon Maria, Sulai und Zaida bei uns zur Schule gehen. Auch hier war ich ernüchtert von der Hütte, obwohl ich wusste, dass Marias Familie zu den ärmeren gehört. Marias Mutter zerstampfte eine gekochte Yucca, um zu demonstrieren, wie man Chicha macht. Anschliessend durften wir etwas von diesem Gesöff kosten. Je nachdem wie die Zusammensetzung ist (Banane, Yucca, Mais) variert der Geschmack, für Europäer so oder so gewöhnungsbedürftig. Auf jeden Fall ist Chicha sehr nahrhaft und laut Edwin die Nahrung, die man immer in einem Kichwahaus findet. Und ich glaube, das ist der Grund, warum Christine in der Schule das Frühstück eingeführt hat. Einige der Schüler kamen mit nichts als Chicha im Bauch zur Schule, und der Alkoholgehalt dieses Getränks ist nicht zu verniedlichen.
Anschliessend durften wir, halt wirklich touristenmässig, mit einem Blasrohr auf eine Papaya schiessen, die Maria für uns auf einem Stecken befestigt hatte. Ich traf kein einziges Mal, war aber beeindruckt von der Waffe.
Ich glaube, dass sich die Mädchen gefreut haben, dass die Maestra in ihrem Haus war. Sie lächelten oft verschmitzt, waren aber ansonsten sehr schüchtern und zurückhaltend und hätten niemals das Wort an mich gerichtet, hätte ich sie nicht immer wieder etwas gefragt. Damit mein Besuch nicht so einseitig blieb, versprach ich ihnen, sie dürften auch mal das Lehrerhaus anschauen kommen. Da grinsten sie.
Für mich war dieser Ausflug auf die Isla Anaconda ein Highlight dieser Weihnachtsferien! Eines von vielen.

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