Sunday, April 6, 2008

Elterngespräche

Die Elterngespräche, die wir im letzten Monat erleben durften, wären allein schon eine Reise nach Ecuador wert!

Ich wusste nicht recht, was uns erwartet, hatte aber noch vage im Ohr, was unsere Vorgängerinnen von den Elterngesprächen erzählt hatten. Wir haben uns gut vorbereitet: Alles, was wir über die Kinder sagen wollten, haben wir auf Spanisch übersetzt und zum Teil sogar mit lauter Stimme lesen geübt. Wörter wie „independientemente“ (selbständig) blieben aber bis zum letzten Gespräch Stolpersteine, obwohl Steffi herausfand, dass man sich das Wort besser merken kann, wenn man es singt.

Wir haben beschlossen, dass immer nur diejenigen Lehrer mit zum Haus der Familie gehen, die auch die Kinder unterrichten, also Klassenlehrer und Gloria, unsere Spanisch- und Kichwalehrerin. Weil ich mich rühmen kann, das am wenigsten schlechte Spanisch im Lehrerhaus zu sprechen, ging auch ich zwecks Übersetzungen immer mit. Wir merkten aber bald, dass viele Familien uns gerne alle in ihrem Haus gesehen hätten. Vor allem wenn Heiko, der Mann, fehlte, wurde stets nach ihm gefragt.

Schon der Hin- und Rückweg war recht spannend. Zum Glück hatten wir immer Gloria bei uns, die fast alle Familie und deren Häuser kannte. Meistens stöppelten wir ein Kanu und fuhren für 25 Centavos pro Person ans andere Ufer. Dann folgten wir den kleinen Pfaden durch die Plantagen zu den jeweiligen Häusern.

Dort empfingen uns immer kläffende und beinmagere Köter, die Mitleid erregten. Nicht selten waren die Hunde auch verletzt, schliesslich wird nicht gerade zimperlich mit ihnen umgegangen. Wir zogen unsere kniehohen Stiefel vor der Treppe ab und stiegen die Stufen hoch in einen Vorraum, wo wir dann auch das Gespräch hielten.

Nach dem üblichen „Händestreicheln“ ohne sich dabei in die Augen zu schauen, wurden wir geheissen, Platz zu nehmen. Oft war es beiden Seiten anfangs nicht ganz wohl, man wusste nicht so recht, wie man sich den Fremden gegenüber benehmen sollte. Lachen half meistens, das Eis zu brechen. Nach einer kurzen Einleitung las der jeweilige Lehrer seine spanischen Zeilen über den Schüler und die anderen hatten die Gelegenheit, die Kichwas dabei zu beobachten. Dann kamen von den Eltern ein paar Rückfragen, meistens über das Benehmen der Söhne und Töchter. Aber auch, warum die Kinder in der Schule so wenig lernten (das ecuadorianische Schulsystem fängt ein Jahr früher an, deshalb können die Kinder der staatlichen Schule mehr, wenn man den direkten Vergleich unter Gleichaltrigen macht).

Nicht zuletzt gab ihnen die Zukunft der Kinder zu denken: Wie lange dürfen sie noch ins SYH? Was sind ihre Möglichkeiten nachher? Wie könnte man verhindern, dass die Kinder nach der Schule ihr Deutsch verlernen? Anita, die ältere Schwester von Maria und Nonne in Guayaquil, machte den Vorschlag, die Kinder während der grossen Ferien oder nach Abschluss der Schule in einer grossen Stadt in einer deutschsprachigen Familie arbeiten zu lassen (wie unser Welschlandjahr). Ruben, der Vater von Abdón, fragte nach, ob sein Sohn allenfalls ein 10. Jahr im SYH machen dürfe. So könnte er das ecuadorianische Colegio fertig machen und weiterhin sein doch schon sehr gutes Deutsch pflegen. Es freut uns, dass die Familien so mitdenken und wir wollen schauen, ob sich da was machen lässt.

Die meisten Kichwahäuser sind aus Holz, haben eine Art Strohdach und etwa drei Zimmer, stehen auf Pfählen und sehen für europäische Augen eher ärmlich aus. Unter dem Haus tummeln sich Hühner und Hunde. Im Haus selbst findet sich eine offene Feuerstelle auf einem niedrigen, quadratischen Holztisch. Kein Vorhang oder Gitter schützt das Innere vor Insekten. (Wir im Lehrerhaus sind ja doppelt geschützt: Zuerst durch die feinmaschig vergitterten Fenster und dann noch durch das Moskitonetz. Vielleicht ist das ein Fehler. So finden die Viecher nämlich nicht mehr raus, wenn sie einmal drin sind, deshalb finden wir immer wieder halbverhungerte Frösche…)

Meistens wurde uns auch noch etwas zu essen oder zu trinken angeboten: Eier mit grüner Schale (von einem besonderen Huhn), Suppe mit Huhn, nur Huhn, Yuca und Plátano (in einer Suppe oder gekocht), Orangen, Papayas, Oritos, ein komplettes typisches Selvagericht (von 6 verschiedenen Gerichten auf dem Teller konnte ich nur Yuca mit Sicherheit bestimmen, alle schmeckten lecker, nur den Weissen Cacao brachten wir nicht runter), zum Trinken Saft oder Chicha. Inzwischen bin ich ja schon recht Chicha-geprobt, aber so eine Tasse mit 15cm Durchmesser gefüllt bis zum Rand und noch lauwarm – die bringe ich beim besten Willen nicht zur Neige.

Wenn uns ein volles Menu angeboten wurde, liessen uns die Gastgeber während dem Essen alleine und zogen sich in die Küche zurück. Ziemlich gewöhnungsbedürftig. Und wir lernten, dass es unhöflich ist, einen Gast zu fragen, ob er etwas essen oder trinken möchte. Es wird davon ausgegangen, dass der Besuch immer hungrig und durstig ist. Von Seiten des Gastes ist es unhöflich, nach Erfrischung zu verlangen und mehr (oder etwas anderes) zu verlangen, als angeboten wird.

In keinem der Häuser fand sich ein Klo. Die Kichwas erledigen ihr Geschäft offensichtlich draussen oder im nahe gelegenen Fluss. Dafür fanden wir überall die Weihnachtsgeschenke, die wir den Familien im Dezember mit nach Hause gegeben haben. Viele der Blockflöten waren kaputt und lagen mit den Tupperware-Gefässen irgendwo am Boden. Einzig zum Klassenfoto schienen die Familien mehr Sorge zu tragen. Die hingen bei fast allen prominent im Eingangsraum zusammen mit anderen Bildern. (Die Fotos halten am längsten, wenn sie laminiert sind.)

Zuhause hatten die Kinder längst nicht so schöne und gepflegte Kleidung an, wie sie sie jeweils in der Schule tragen. Die „Schuluniform“ wird geschont. Auch ist uns aufgefallen, dass die Haustüren oft geschlossen sind. Was in unseren Augen etwas sinnlos ist, denn ein allfälliger Dieb könnte schnell über das Tor klettern, wenn er es nicht öffnen könnte.

Spannend war und blieb das Zwischenmenschliche. Ich glaube, wir traten oft in Fettnäpfchen, was uns aber offensichtlich schnell vergeben wurde. Die Sitzordnung ist so ein Beispiel: Einmal wurden wir geheissen, Platz zu nehmen. Wir setzten uns auf die Bank mit dem Rücken zum Tisch, weil wir den Vater, der in der Hängematte lag, so anschauen konnten. Später gesellte sich dann die Mutter hinzu. Sie setzte sich ebenfalls an den Tisch, und zwar so, dass wir sie genau im Rücken hatten. Nun waren wir in einer unglücklichen Sandwichposition und mussten unsere Köpfe während des Gesprächs immer um 180 Grad drehen. An der Sitzordnung wollten wir aber nichts ändern, wir wollten uns den Gastgebern anpassen. Später erklärte uns Gloria, dass wir uns anfangs falsch hingesetzt hätten, wir hätten uns richtig an den Tisch setzen sollen, auch wenn wir so den Gastgeber im Rücken gehabt hätten. Der hätte sich dann zur gegebenen Zeit, wenn die Frau mit den Erfrischungen fertig gewesen wäre, zu uns gesetzt. Unsere Sitzordnung sei den Kichwas seltsam vorgekommen, aber sie hätten sich ebenfalls den Gewohnheiten der anderen anpassen wollen…

In fast allen Häusern fühlten wir uns willkommen und spürten eine angenehme, freundliche Atmosphäre. Einzig in drei Häusern war uns nicht wohl, die Gespräche dauerten dann auch nicht lange und liessen bei uns ein unbefriedigendes Gefühl zurück.

Der Besuch bei der Familie von Luiz, Alirio und Danilo ist bemerkenswert. Bei ersten Treffen waren die Eltern nicht zu Hause, ohne Nachricht zu hinterlassen. Die Jungs zeigten sich enttäuscht, dass wir nicht bei ihnen bleiben und auf die Rückkehr der Eltern warten wollten. Beim zweiten Anlauf klappte alles. Wir konnten unsere Zettel vorlesen. Und da die drei Jungs Wirbelwinde sind und wir sie nicht nur rühmen konnten, wurde unser Monolog immer wieder von Herlinda, der Mutter unterbrochen, weil sie den betreffenden Sohn auf Kichwa die Leviten las. Sehr amüsant zu beobachten. Wir brachten das Gespräch aber zu einem versöhnlichen Abschluss und versicherten den Eltern, dass sie stolz auf ihren Nachwuchs sein können. Das anschliessende typische Kichwaessen war ein Hit! Von den 7 angebotenen Speisen kannte ich nur die Yuca und den Tilapiafisch. Alles schmeckte gut (bis auf etwas Undefinierbares, das sich später als Weisser Kakao herausstellte).



Weitere Fotos folgen...


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