Sunday, November 25, 2007

Mit Verlusten muss man rechnen

Nicht das Anjas Schneidezähne das erste waren, das wir hier in Ecuador in Verlust hatten, aber es ist sicher das Prägendste. Aber darauf will ich nicht mehr weiter eingehen, es ist schon Schnee von gestern, ihr habt die Fotos gesehen, die Zahnlücke steht ihr gut. Ich möchte euch aber gerne ein paar andere Geschichten schreiben, die sich zum Thema „Verluste“ erzählen lassen. ¿Listos?

Verlust in der Lavandería: Kleidungsstücke aller Art, Faultier

Lavanderías sind Wäschereien, die uns von grossem Nutzen sind, da wir unsere Stinkkleider gerne einmal am Wochenende dort hinbringen, statt sie in der Badewanne mühselig zu schrubben. Aus Bequemlichkeitsgründen gingen wir bisher immer in die Lavandería gleich an der Hauptstrasse, die von sehr freundlichen und anjabegeisterten Frauen geführt wird. Allerdings fehlen immer wieder Kleidungsstücke, wenn man die frisch gewaschene und trockene Wäsche zu Hause auspackt. Oft merkt man dies erst, wenn man das besagte Wäschestück braucht, zum Beispiel den Kochhandschuh, um das Brot aus dem Ofen zu nehmen. Dann heisst es immer eine Woche warten, bis man in Tena reklamieren und das Fehlende zurückfordern kann. Man muss dem Wäschereiteam allerdings auch zu Gute halten, dass zwischendurch auch zusätzliche Teile im Sack sind, die einem eigentlich nicht gehören, aber gerade noch so „gäbig“ kommen. Es ist ein einziges Geben und Nehmen…
Den zweiten Verlust, für den die Wäscherei die Verantwortung trägt, kann ich nicht mit so viel Humor nehmen. Vor zwei Wochen hatte ich im kleinen Vorraum der Lavandería ein junges Faultier gesehen, das dort an einem aufgestellten Ast schlief und anschliessend von einer der Frauen mit dem Schoppen gefüttert wurde. Ich machte die Frauen darauf aufmerksam, dass wir in einem Auffangzoo arbeiten würden und das junge Tier dort sicher glücklicher wäre als hier in der lauten, naturfernen Lavandería. Von dem wollten sie gar nichts wissen, das arme Junge solle nicht in einem Käfig (!) aufwachsen. Am folgenden Donnerstag war ich wieder in der besagten Lavandería, dieses Mal lag das Junge schon kraftlos am Boden, konnte sich nicht mehr am Ast halten. Noch dringlicher bat ich, mir das Tier zu überlassen und stiess auf völliges Unverständnis.
Ich bringe beim nächsten Tenabesuch die Wäschestücke zurück, die nicht mir gehören, fordere meine ein und besuche diesen Laden nie wieder, nicht ohne den erbarmungslosen Weibern vorher den Grund für meinen Boykott an den Kopf zu „bängglen“.

Verlust bei Douwe & Olivia: Pacharacu
Der Pacharacu war ein schwarzer (Raben?)-Vogel, der uns alle zur Verzweiflung trieb, da er das Haus von Douwe und Olivia dermassen gut bewachte, dass es gefährlich wurde, sich ihm zu nähern. Zwar war er nicht mit allen gleich unfreundlich, einige Volontäre schienen keine grossen Schwierigkeiten gehabt zu haben. Anja und ich allerdings mussten den Kerl immer wieder vom Kopf und den nackten Waden abschütteln, wo er energisch zu picken begann.
Nun ist Pacharacu letzte Woche spurlos verschwunden und ich war die Letzte, die ihn lebend gesehen hatte. Obwohl es niemand direkt sagte, fühlte ich mich unter Mordverdacht, vor allem weil ich ein Motiv hatte, schliesslich hatte ich nicht nur einmal verlauten lassen, der Vogel sei das einzige von Olivias Tieren, das ich nicht gerne füttern würde. (Ich werde im Dezember und Januar für 6 Wochen das Haus der Holländer und ihre vielen Tiere hüten, wenn die drei in Europa sind).


Verlust in Tena: Portemonnaie, Geld, Ausweis, Natel, Memory-Stick, Fotoapparat Letzten Donnerstag war das Gründungsfest von Tena, es war schulfrei und Anja und ich gingen mit Linda und Bettina an den Ort des Geschehens. Schule um Schule defilierte durch die Hauptstrasse der Dschungelstadt, alle in Uniform und mit patriotischen Fahnen, wenn möglich im Gleichschritt. Da das Publikum nicht applaudierte und selten eine Blasmusik oder Tambouren kamen, war das Ganze eine recht schweigsame und eher eintönige Angelegenheit. Trotzdem standen die Zuschauer eng zusammengedrückt auf den schmalen Trottoirs, um ihre Verwandten und Bekannten im vorbeiziehenden Umzug zu erkennen. Und da muss es passiert sein: Bettina erinnert sich, dass sie von einer Frau ziemlich grob zur Seite gedrückt wurde, als diese passieren wollte, ihre Söhne hätten sich derweilen hinter Bettina durchgedrängt. Erst später bemerkte sie, dass der Rucksack offen stand und – dass sämtliche Wertsachen fehlten. Bettina hat die Sache verhältnismässig locker genommen: „Hoffentlich hilft es wenigstens einer armen Familie.“

Verlust während der Busfahrt: Passagier
Ich habe das Vorurteil schon oft gehört: die Indigenas in der Selva hätten ein Alkoholproblem. Ich kann dies bisher weder bestätigen noch abstreiten, mich dünkt nicht, hier mehr Betrunkene gesehen zu haben als zu Hause an einem Fest. Was ich allerdings in der Schweiz noch nie gesehen habe, ist, dass die Kondukteurin den besoffenen Fahrgast eigenhändig rausschubst, obwohl sich dieser vehement wehrt und beteuert, bezahlen zu wollen. Die anderen Fahrgäste standen zur Seite (man steht in ecuadorianischen Bussen auch im Gang und auf dem Trittbrett), so dass der bedauernswerte Kerl ohne Dämpfung aus dem doch ziemlich hohen Fahrzeug ungebremst auf den betonierten Boden fiel, wo er einen Moment lang bewusstlos liegen blieb. Man zögerte noch mit Abfahren, als er sich aber schliesslich doch ein bisschen rührte, ging die Busfahrt weiter, als wäre nichts passiert.

Verlust in Puerto Barantilla: Kanumotor
Victor, der Schulkanufahrer, der auch 4 Kinder an unserer Schule hat, hatte diese Woche auch einen Verlust zu beklagen. Er fand am Morgen seinen Motor nicht mehr, das Kanu selbst war noch da. Die Kinder kamen trotzdem noch rechtzeitig zur Schule, einige ein bisschen bedrückt, schliesslich ist so ein Motor etwas Wichtiges und man wusste nicht, ob er nun geklaut oder nur vom Wasser mitgerissen worden war.

Verlust in der Badewanne: Fotoapparat
Da mein grosser Rucksack erbärmlich stank, weil ihn noch in der Schweiz ein rammliger Moudi markierte, und der Geruch in der hier vorherrschenden feuchtwarmen Umgebung auch nicht besser wurde, beschloss ich, das Ungetüm in der Badewanne mit viel Waschmittel einzuweichen und zu schrubben, vergass aber, den Fotoapparat, der noch vom Tenaausflug in einer der Taschen war, vorher in Sicherheit zu bringen. (So viel Dummheit hat in einem Satz Platz, wie ich eben erstaunt feststelle.) Obwohl ich die Kamera sofort auseinanderschraubte und trocknete und sie sogar in Silicagel (Kügelchen, die Feuchtigkeit entziehen) einlegte, macht sie bis heute keinen „Wauch“. Ihr müsst also für ein Weilchen auf die neuesten Fotos aus der Selva verzichten. Meine offizielle Version ist übrigens, dass dem Apparat die Dschungelfeuchtigkeit zugesetzt hatte, was ja in gewissem Sinne auch stimmt.

Verlust vor der Haustüre: Schuhe
Was immer wieder verloren geht, und zum Teil auch nicht mehr gefunden wird, sind die Schuhe vor unserer Haustüre. Die Diebe: die Affen. Denn diese Affen sind wirklich Affen.

Verlust irgendwo zwischen der Schweiz und Ecuador: Pakete und Briefe
Leider kommen offensichtlich nicht alle Pakete und Briefe aus der Schweiz wirklich bei uns an, was ich sehr bedauerlich finde. Und die Post, die ankommt, ist jeweils unterschiedlich lange unterwegs. Vorgestern erhielt ich einen Brief aus Fribourg, der 40 Tage unterwegs war, heute einen aus Wyssachen, der nur 4 Tage für die gleiche Strecke brauchte. (Klingt wie eine Mathematikaufgabe, oder?)

4 comments:

Gerbers said...

Mo-mou! "Verluste" ist ein hochinteressantes Thema. (Ich bin natürlich überzeugt, dass der grösste Verlust für Euch einige dieser Verluste (eventuell) hätte verhindern können. Chunsch drus?!)
Vätu

Unknown said...

so, es ist zeit dass auch ich langsam mitmache...(mit der hilf vor Brigitt)mit grossem interesse volge ich eurem abenteuer..und vieles kommt mir bekend vor,durch meine reise in Mexico.wie vielfähltig die erde toch ist..
habe letzte woche erst in einem garten mein hark verloren und zwei tage später in einem anderen mein gutes messer..ja,ja..
dikki umarmig sonja

anneliesundanjainecuador said...

Zu Vätu: Da stinkt nicht nur mein Rucksack, chunnsch ou drus?
Zu Söne: Schön, von euch zu hören! Wie geht's in Holland? Deine e-mail-Adresse hat es leider nicht bis in die Selva geschafft, sonst hätte ich dir schon längst für die kurzweiligen Minuten am Amsterdamer Flughafen gedankt.

betty said...

hallo anne
das mit dem faultier ist typisch anne. sehr sympathisch äbe und konsequent.
hoffe, eure verlust/gewinn rechnung geht trotzdem auf!
härzlechi grüess
betty