Saturday, August 11, 2007

10. August

Meine lieben Verwandten,
meine lieben Freunde!


Heute ist Freitag, der 10. August 2007, und in Ecuador ist ein nationaler Feiertag. Wir haben die erste Woche Schule im Dschungel hinter uns und ein langes Wochenende vor uns, um die vergangenen Tage zu evaluieren.

Die Schule ist eigentlich in fast nichts mit einer Schule in der Schweiz vergleichbar. Dinge, die mir unmöglich erschienen, scheinen hier ohne weiteres möglich zu sein. Was ich als gegeben voraussetzte, wird hier in Frage gestellt. Ich werde meine Ansprüche an die Schüler, an meinen Unterricht und an das Schulmaterial drastisch herunterschrauben müssen.

Ich glaube, dass der tägliche Rhythmus, der jahraus, jahrein der gleiche bleibt, auch die Leute und ihre Mentalität verändert. Die Indianer lassen sich von nichts beeindrucken oder stressen. Mañana, Morgen, ist ja wieder ein gleicher Tag, ein genau gleicher Tag. Warum sollte man sich heute ins Zeug legen, vor allem wenn es noch so heiss ist? Und es ist immer heiss. Nach dem Mittag ist es in der Schule unter dem Blechdach fast nicht zum Aushalten. Ich verstehe unsere Vorgängerinnen, die in der Nachmittagstunde immer schwimmen waren. Alles andere ist wenig sinnvoll.

Obwohl die Indianerkinder sich durch nichts unter Druck setzen lassen und die Arbeit manchmal schlicht und einfach verweigern, sind sie weder frech noch unhöflich. Sie wollen einfach etwas nicht tun, deshalb tun sie es nicht. Fertig. Wenn ein Kichwa bockt, dann bockt er, pflegten die 4 Maestras im Schulbericht 06/07 zu schreiben.

Das Schulmaterial ist immer nass und müffelt. Alle meine schönen, neuen Bücher, – und in diesem Fall bin ich eine typische Lehrerin und gestehe, dass ich auf schöne, neue Bücher stehe-, sind nach diesen paar Wochen im Dschungel von der Feuchtigkeit gewellt und unförmig geworden. Die Pulte sind zwar wunderschöne Handarbeit, vor allem wenn man bedenkt, mit welch primitiven Werkzeugen sie die herstellen müssen, aber sie passen von der Grösse her weder zum Stuhl noch zum Kind und sie sind immer wieder voller Kakerlakenscheisse. Da keine Gebäude Fensterscheiben haben, lagert sich sofort Staub ab. Dies wiederum finden all die kleinen Krabbelviecher toll, die es überall hat. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal unterrichten werde, wenn an der Tafel eine Eidechse klebt. Oder dass ich kleine Kinder barfuss im Gras spielen lasse, wenn es giftige Schlangen gibt. Oder dass ich auf dem Vorplatz Früchte schneide und einen halben Meter über mir hängen im Dach zwei Taranteln. (Die sind übrigens sehr ästhetisch, ganz abgesehen von den schmerzhaften Härchen auf ihrem Rücken).
Wir haben heute versucht, den Stundenplan anzupassen, was gar nicht so einfach ist, weil man doch gewisse Dinge beachten muss. Mir ist das ein Rätsel, wie man dies in der Schweiz hinkriegt, wo es zehnmal mehr zu beachten gibt. Hut ab vor deiner Arbeit, Bernhard!

Gegen Abend gingen wir in die Liana Lodge essen. Es gab einen leckeren Dreigänger, der mir sehr mundete. Eigentlich waren wir ausgerüstet mit Stirnlampen und Regenmantel, um den 20minütigen Marsch nach Hause, der durch den Dschungel führt, in Angriff zu nehmen. Angelika hielt uns davon ab, es sei einfach zu gefährlich wegen der Schlangen. Vor allem für die Kinder. Wir durften dann in ihrem Kanu nach Hause gondeln. (Es ist mir ein Rätsel, wie sie dieses in stockdunkler Nacht ohne Beleuchtung führen und dann noch die richtige Anlegestelle finden).
Sehrwahrscheinlich unterschätzen wir manchmal die Gefahren noch. Anderseits bin ich manchmal ängstlich, wenn aus ecuadorianischer Sicht kein Grund zu Sorge besteht. 5jährige Kinder kann man zum Beispiel gut unbeaufsichtigt am Fluss baden lassen. Und ein Brett lässt sich problemlos mit dem nackten Fuss fixieren, um es besser mit der Motorsäge bearbeiten zu können.

Morgen möchte ich mit Bettina nach Tena gehen, wir brauchen Material für die Schule (Hefte, Leim,…), einige persönliche Dinge (Stiefel für Anja, ihre stinken erbärmlich, weil sie eine Stofffütterung haben) und ein paar Sachen für den Haushalt (gute Müesliflocken, Nutella für Heiko, Waschlappen, …). Allerdings streiken im Moment die Busfahrer, wir haben noch keine Ahnung, wie und ob wir es überhaupt nach Tena schaffen. Wir werden das Kanu nach Puerto Barantillo nehmen und dort an der Strasse stöppeln. Wenn das klappt und uns jemand mitnimmt, müssen wir nur noch die Strassensperre bestechen/ bezahlen. Das alles klingt sehr abenteuerlich, aber ich glaube, ich habe mich schon ein bisschen daran gewöhnt. Wie an die Ameisen, die sich jeden Tag erneut in meinem PC einmisten und dann flüchten, wenn er warm läuft. Und wie an die Kakerlaken, die unseren stillen Mitbewohner sind und einem in unerwarteten Moment erschrecke. Oder wie an die Tatsache, dass ich wohl ein ganzes Jahr niemals gut riechen werde…

In Tena würde ich gerne ins Internet gehen, hoffentlich reicht die Zeit. Abgesehen davon, dass ich meinen Blog auf den neusten Stand bringen möchte, freue ich mich auf die Nachrichten von euch, die mich auf meinem Mailkonto erwarten. Auch wenn ich nicht immer zurück schreiben kann, das Lesen der Zeilen aus der Schweiz macht unglaublichen Spass. Und wenn dann manchmal sogar ein richtiger handgeschriebener Brief bis in den Amazoonico durchdringt, so ist das fast ein feierlicher Moment.

Zu dem hätte ich noch eine Bitte: schreibt mir doch eure Anregungen, Fragen und Kommentare zum Blogtext in den Blog, darum geht es ja schliesslich in dieser neumodischen Errungenschaft. Gleich hier unten rechts, dort wo Kommentare oder comments steht. Ansonsten wird das Blog schreiben eine recht einseitige Sache bis Ende des Jahres…
So, ich mache mich langsam in die Heia, der Strom ist gerade vorhin ausgefallen, mein PC läuft nur noch mit Akku und die Kerzen haben noch je einen Zentimeter.
Bis bald, eure Anne

3 comments:

Brigitt said...

Wieder muss ich sagen, ich bin froh über deine detailierten Berichte. Obwohl ich es immer noch kommisch finde, dich neben einer Horde Indianerkinder zu sehen, kann mann sich besser ausmalen wie das Amazoonico, Anja in Gummistiefeln, Du mit einer feuchten Kreide in der Hand und Vätu beim Wäsche aufhängen aussieht. Ebenfalls, habe ich schon viel von Bettina, Heiko und Jana gehört, aber jetzt haben sie auch noch ein Gesicht bekommen.

Brigitt said...

Habe gerade bemerkt, dass die Kommentare nicht all zu lang werden können. Desshalb wohl auch nur Kommentare. Verbleibe bis zum nächsten mal und hoffe ich werde auch noch andere Kommentare lesen können. Was die ganze Blog Geschichte tatsächlich noch spannender machen würde. Nur zu!

anneliesundanjainecuador said...

Subi Brigitt, das funktionniert genau eso. Danke, fuer Dyni Kommentaer So macht's Spass fuer Oeich zschrybe